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WER ZUHAUSE SITZT, WIRD NICHTS VERÄNDERN

Nazir Peroz sitzt am Schreibtisch seines Büros an der Technischen Universität in Berlin. Vor ihm liegt ein großer Stapel Papiere und das Seminar für morgen muss er auch noch vorbereiten. Die Zeitung neben ihm auf dem Stuhl wird wohl wieder ungelesen bleiben. Viel Freizeit bleibt dem gebürtigen Afghanen nicht. Wenn er nicht gerade in Afghanistan Rechnerzentren aufbaut, oder Hochschulen vernetzt, leitet er das Zentrum für internationale und interkulturelle Kommunikation, kurz ZiiK, an der TU Berlin. Seit 1993 ist Peroz im Bereich Informatik und Entwicklungsländer tätig und hat 2000 dieses Zentrum an der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik selbst mit aufgebaut.

Zwischen kulturellem Feingefühl und Informatik

Seine Vision ist, das Fach Informatik mit Methoden der interkulturellen Kommunikation zu verflechten. Denn die technischen Möglichkeiten der Interaktion, so sagt er, gewährleisten noch lange nicht, dass man sich auch versteht. Deshalb möchte er seine Studenten für kulturelle Zusammenhänge sensibilisieren. Schade findet er, dass die Universitäten in Deutschland noch viel zu wenig von dem kulturellen Reichtum, den ausländische Studierende mitbringen, profitieren. Über die Jahre hinweg habe er selbst Studierende aus mehr als 130 Nationen betreut und dadurch gelernt, welchen Einfluss Kultur auf bestimmte Herangehensweisen, Einstellungen und Strategien haben kann.

Tacheles reden

Bereits im Jahr 1977 ist Peroz nach Berlin gekommen, um an der TU Berlin Informatik zu studieren. Eigentlich wollte er in die USA, hat sich dann aber – abgeschreckt von den hohen Studiengebühren – für Deutschland entschieden. Die Anfangszeit in der Bundesrepublik brachte aber auch die eine oder andere Herausforderung mit sich: „Ich konnte damals nicht kochen. Zuhause wurde ich eben von meinen Eltern verwöhnt.“, verrät er. Der tägliche Gang in die Mensa mit ihrem nicht immer ganz ausgefallenen Angebot, brachte Peroz schließlich dazu, kochen zu lernen.
Über die Jahre, so erzählt er, hat er an Deutschland vor allem die direkte Gesprächskultur schätzen gelernt: „Ich mag den Begriff Tacheles. Durch Tacheles bekommt man die Wahrheit heraus. Man weiß, wo der Andere steht.“

High Tech am Hindukusch

Ein großes Anliegen ist es dem Doktor für Informatik auch, sich am Wiederaufbau Afghanistans zu beteiligen. Die Schaffung eines guten Bildungssystems ist für die Zukunft des Landes entscheidend, davon ist er überzeugt.
Deshalb fährt Peroz seit dem Jahr 2002 regelmäßig, etwa alle drei Monate, in sein Heimatland und hilft dort beim Aufbau von Rechnerzentren und Fakultäten für Informatik. Er entwickelt Lehrpläne, bildet IT-Techniker aus und trainiert Computer-Administratoren. Mit dabei sind immer seine Mitarbeiter vom ZiiK: „Wir haben ein wunderbares Team hier im Zentrum, das Afghanistan mit Herz und Seele unterstützt.“, schwärmt er. Und auch am ZiiK in Berlin selbst werden afghanische Dozenten ausgebildet. Wer in Afghanistan seinen Bachelor in Informatik mit hervorragenden Leistungen abgeschlossen hat, kann auf ein Stipendium für die Ausbildung in Deutschland hoffen. Das dreijährige Masterprogramm ist speziell auf die Bedürfnisse des Landes am Hindukusch zugeschnitten und vermittelt nicht nur rein fachliche Inhalte der Informatik, sondern auch didaktische Methoden. Die Frage, wie man Wissen vermitteln kann, steht im Mittelpunkt. Für die Zeit nach dem Studium haben sich die Studenten verpflichtet, zunächst für zwei Jahre an ihren Heimatuniversitäten in Afghanistan zu unterrichten. Das, was sie in Deutschland gelernt haben, sollen sie möglichst vielen weitergeben. Peroz verfolgt hier ein ganz klares Konzept: „Ich möchte keine afghanischen Studierenden hier behalten. Wenn alle hochqualifizierten Personen das Land verlassen, wie kann das Land dann aufgebaut werden?“. Bis jetzt ist Peroz Konzept aufgegangen: Alle afghanischen Studenten, die am ZiiK ausgebildet wurden, sind an ihre Heimatuniversitäten zurückgekehrt. Sie arbeiten dort als Dozenten und Systemadministratoren. Einige von ihnen haben es gar bis in die Führungsebene geschafft.

Autorin: Julia Mittwoch
Redaktion: Hanne Kehrwald

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