Saruul Wandan ist elf Jahre alt, als sie 1986 mit ihren Eltern und den zwei jüngeren Geschwistern von Ulan Bator in die Deutsche Demokratische Republik zieht. Der Vater, Beamter im Ministerium für Nahrungsmittel und Leichtindustrie in der Mongolei, soll als Dolmetscher in Forst, einer alten Tuchmacherstadt, arbeiten. Vor dem Fall der Mauer gab es hier in der Lausitz unweit der Grenze zu Polen eine prosperierende Textilindustrie, in der viele Facharbeiter aus sozialistischen Bruderstaaten wie die Mongolei sie war, ausgebildet wurden. Gerne bezeichnet sich Forst noch heute als „deutsches Manchester“.
Saruul geht dort zur Schule. Doch Forst bleibt nur Zwischenstation. Die Familie zieht nach Berlin und schließlich in das sächsische Hohenstein-Ernstthal. Dort in der Geburtsstadt von Karl May erlebt sie den Fall der Mauer. Ihre Eltern beschließen, im wieder vereinigten Deutschland zu bleiben. Wenige Jahre später stirbt Saruuls Vater, die Familie durchlebt eine schwere Zeit.
Mit 18 erfährt Saruul von ihren Eltern, dass sie adoptiert wurde. Sie ist das jüngste von mehreren Geschwistern, die sie bei den seltenen Besuchen in der Mongolei als Onkel und Tante kennt. Ihre leibliche Mutter Dolgor, die sie herzlich liebt, nennt sie Oma. Der jüngste Bruder ihrer Mutter und dessen Frau waren anfänglich kinderlos. So beschloss Dolgor, ihm ihre jüngste Tochter anzuvertrauen. Die Modemacherin sprach früher nicht gerne darüber, weil sie Unverständnis in ihrer deutschen Umgebung fürchtete. Inzwischen geht sie selbstbewusst damit um und ist stolz auf ihre beiden Familien. Wer hätte schon zwei Mütter, die sich um einen sorgen, meint sie.
„Ich habe lange überlegt, ob die Mongolei meine Heimat ist, weil ich dort geboren bin und so viele Erinnerungen daran habe. Aber inzwischen glaube ich, dass es die Menschen sind, die einen Ort zur Heimat machen. Heimat ist für mich dort, wo meine Familie ist. Deswegen hab ich zwei Heimatländer: die Mongolei, weil dort ein Großteil meiner Familie lebt, und Deutschland, weil meine Kinder, mein Mann, meine Mama und meine Schwestern hier leben. Ich kann immer nach Hause kommen, egal wo ich bin.“
Saruul studiert Kommunikationswissenschaften in Dresden, heiratet und zieht nach Plauen im Vogtland. „Ich habe mich für die Liebe entschieden.“, meint Saruul. Das erste Kind ist unterwegs. Einen Job als Kommunikationswissenschaftlerin kann sie hier jedoch nicht finden. Sie will Familie und Beruf unter einen Hut bringen. Und die Sehnsucht nach ihrer alten Heimat:„Ich wollte eine Verbindung zwischen den beiden Welten, in denen ich lebe, schaffen. Zwischen meiner Heimat, Mongolei, in der die Verarbeitung von Kaschmirwolle eine jahrhundertealte Tradition hat und Mitteleuropa, wo der Wunsch nach Qualitätsmode mit ansprechendem Design wächst.“
Heute entwirft Saruul Fischer in ihrem Atelier in Plauen unter dem kleinen Label „Edelziege“ ökologische Basic- und Trendmodelle. Saruul Fischer lässt in der Mongolei produzieren, in kleiner Stückzahl, aus 100 Prozent Kaschmirwolle. Die Wolle wird aus dem Unterfell der frei lebenden, seltenen Kaschmirziege gewonnen. Mit dem Modelabel hat sich Saruul Fischer eine Brücke in ihre Heimat gebaut. Zweimal im Jahr reist sie nun in die Mongolei, um mit Produzenten zu verhandeln. Mit ihrer Co-Designerin in Ulan Bator skypt sie fast täglich. „Heute führe ich ein Leben ganz nah zur Mongolei“.